meins II - Einführung

Dr. Nicole Beyer

Wenn Amador Vallina an einem spanischen Strand spazieren geht oder sich im großen Skulpturengarten seines Hauses in Wörrstadt aufhält, dann pflegt er immer etwas Interessantes zu finden.

Woran wir Normalbürger eher achtlos und gleichgültig vorübergehen, was wir vielleicht mit den Augen beiläufig wahrnehmen, aber nicht des Aufhebens Wert befinden, darin vermag der Künstler Vallina immer etwas mit seinem geistigen Auge zu sehen: Im Alltäglichen das Besondere, im Selbstverständlichen das Wunderbare und im Verachtenswerten das Schöne.

 

Gleich zwei seiner spanischen Landsleute möchte ich hier zitieren, die ebenfalls wie Vallina Künstler sind bzw. waren und die ebenfalls solche Zufallsfunde in ihrem Werk auf die eine oder andere Weise verarbeiteten.

Joan Miró ist der eine, er sagte: "Die Kunst lehrt uns, nicht wie Blinde durch die Welst zu stolpern, sondern zu sehen."

Und Pablo Picasso sekundierte: "Das Geheimnis der Kunst liegt darin, dass man nicht sucht, sondern findet."

 

Amador Vallinas Kunstwerke, die in seinem Oeuvre etwa gleichwertig Skulptur, Malerei und Grafik beinhalten, sind zum größten Teil gegenstandslos.Haptische Strukturen in den Bildern, erzielt durch Verarbeitung von Naturmaterialien wie Sand, Marmorstaub, Knochen oder eingefügten Fasern und Verschmelzung dieser mit sanften Erdtönen bewirken, dass diese Bilder jenseits ihrer Ausdehnung in der Fläche auch in den Raum ausgreifen, auf den Betrachter quasi zukommen und ihn so unmittelbar zur Reaktion aufrufen.

 

Viele Maler, die gleichzeitig auch Skulpturen schufen, zeigen diese Tendenz in ihren Bildern: Die Auseinandersetzung mit der Fläche überwindet die traditionelle Form und führt sie über in eine reliefhafte Struktur. Durch Strukturen sinnlich erfahrbarer Natur wird diese im Bild wörtlich "begreifbar".

 

Dabei versteht es Vallina, seine Zufallsfunde minimalistisch reduziert in Szene zu setzen. Die Fundstücke, ob Knospen, Holz, Knochen oder Kleintierskelette prangen zentral auf den eingefärbten Hintergründen, werden so subtil inszeniert und ihrer einstigen Profanität enthoben. Fast wie Reliquien werden sie zur Anschauung vor unseren Augen ausgebreitet und fordern uns zum Dialog mit diesem Kunstwerk heraus, wobei unsere Reaktion durchaus ambivalent sein kann und darf, auch das steckt als Inszenierung dahinter.Hier wird - bewußt oder unbewußt - ein Ausgleich gesucht. Eine Versöhnung der an sich gegensätzlichen Kunstgattungen Malerei und Plastik, aber auch eine Versöhnung der auf den ersten Blick widersprüchlichen Einheit von Kunst und Natur. Nicht bedeutungslos und erst Recht nicht nur aus ästhetischen Gründen verwendet der Künstler als immer wiederkehrendes, zentrales Motiv die runde Form in seinen Arbeiten: Mal Scheibe, mal Tondo, mal Weltenrund oder Mond oder Sonne, mal Querschnitt einer Frucht, mal Spirale.

Die runde Form hat keinen Anfang und kein Ende, sie ist in sich geschlossen, beinhaltet wie das Universum selbst den Mikrokosmos im Makrokosmos. Ein wie auch immer - selbst geringer - Teil der Natur ist pars pro toto für die gesamte Natur- transformiert in Form und Bedeutung entstehen vor unseren Augen aus unbeachteten Kleinigkeiten plötzlich Kunstwerke, die wir dann mit "anderen Augen" zu betrachten vermögen.

 

Die Lesart verändert sich, transformiert sich, aus dem Zusammenhang gerissen wird das Unbeachtete zum nachhaltig Besonderen, und leise und unaufdringlich zu etwas für uns Nachdenkenswertem. Denn wenn dem Auge keine konkrete Geschichte oder Handlung geboten wird, fängt der eigene Geist an zu fliegen und sich zu bewegen. Und wie durch ein kleines Wunder sehen wir plötzlich eine Metamorphose. Die Knochen, die Pflanzenteile, sie bleiben natürlich real das was sie sind: Ein Knochen ist ein Knochen ist ein Knochen.
Aber die Bedeutungsebene hat sich durch die neu geschaffene Situation verlagert. Im Kleinen sehen wir dann das Große, in der zum Kunstwerk erhobenen Zusammenstellung wird eine harmonische Parallelwelt zur Natur geschaffen.

 

In dieselbe Richtung zielen auch die hier vertretenen Kleinskulpturen Amador Vallinas, welche in ihrer manieristisch überlängten Form und in dem zerrissen wirkenden sich Winden ihrer Gliedmaßen ein extrem monumentales Ausgreifen in dem umgebenden Raum inne haben. Sie stehen vereinzelt, vereinsamt und bedürfen unserer Betrachtung, damit sich die Metamorphose vor dem geistigen Auge vollziehen kann.

 

Ich könnte als Kunsthistorikerin jetzt auf diverse Vergleiche abzielen, Sie, verehrte Besucher, mit Informel und Lyrischer Abstraktion, mit Herleitungen, Systematik und Ableitungen bombardieren. Was ich aber nicht tun werde, keine Angst - denn nach Lessing ist zwar der Endzweck der Wissenschaft (und so auch der Kunstwissenschaft) die Wahrheit - der Endzweck der Künste hingegen das sinnliche Vergnügen.

Und diesem sinnlichen Vergnügen dürfen Sie sich jetzt ungehemmt beim Betrachten der talentierten und einfühlsamen Kunstwerke Amador Vallinas hingeben.Viel Spaß dabei und einen großen Dank an den Künstler, der uns mit solchen Augenfreuden heute hier verwöhnt.


Mainz  21.10.2011

 

Dr. Nicole Beyer

Kunsthistorikerin, Archäologin, Publizistin